#Pferdesport3000 Folge 3: Juli Zeh über die Entwicklung des Reitsports zum rosa glitzernden Zeitvertreib
Viele verbinden die Autorin Juli Zeh mit gesellschaftskritischen Romanen oder wissen über ihre Rolle als Verfassungsrichterin. Doch Juli ist auch mit Leib und Seele Pferdemensch und das schon seit vielen Jahren. Bis sie eigene Pferde hatte dauerte es jedoch, sie war die einzige aus ihrer Familie, die das Pferdevirus erwischte. So kostete es viel Überzeugung und Mitarbeit im Stall, damit Juli in ihrer Jugend Reitstunden nehmen konnte.
Mit ungefähr 30 Jahren konnte sie sich schließlich den Traum vom eigenen Pferd erfüllen. Heute lebt sie mit vier Pferden in Eigenregie in Brandenburg – dort, wo wie sie sagt, Pferdesport noch kein Luxus ist. Die Entwicklung dahin findet sie traurig und kritisiert, dass Richterurteile im Spitzensport auf den Breitensport abfärben. Mitunter werde man auch schon auf Dorfturnieren schräg angesehen, wenn man mit einem Haflinger statt dem Dressurpferd mit Top-Abstammung in die L-Dressur einreitet.
Warum Juli ihre Leidenschaft für Pferde und den Reitsport in der Öffentlichkeit lange verschwiegen hat, wie sie die Pferdesport-Bubble heute bei ihren eigenen Kindern erlebt und wieso ihr bei allen Problemen im Spitzensport der sportliche Aspekt im Umgang und Reiten von Pferden dennoch wichtig ist, erfahrt ihr in Folge 3 unserer Miniserie #Pferdesport3000.
Der wehorse-Podcast mit André Thieme zum Nachhören.
Das Pferdebuch von Juli Zeh: "Gebrauchsanweisung für Pferde"
Cover © Montage/Peter von Felbert
Podcast Transkript
Dieses Transkript wurde durch eine KI erstellt und nicht gegengelesen.
[SPEAKER 1]
[00:00:01-00:00:45]
Heute zu Gast die Gegenwart-Schriftstellerin, Verfassungsrichterin und Reiterin Juli Zeh. Das ist sozusagen das, was ja in der Sportwelt passiert, also dass auch immer mehr vom Geld abhängig wird, von der Frage, was für ein Pferd kann man sich leisten, mit wie viel Geld kann man eben diese internationalen Touren starten, dass das sozusagen auch nach unten durchfährt. Ich glaube, dass das... Eine traurige Entwicklung ist, dass es sowohl dem Freizeitsport als auch dem Turniersport nicht gut tun wird, weil der braucht ja die Basis. Also wenn es keiner mehr gucken will und es interessiert keinen mehr, weil das nur noch die oberen 10.000 machen, hat, glaube ich, niemand was gewonnen. Auch der Spitzensport profitiert am Ende nicht. Herzlich willkommen beim Wehorse-Podcast mit Christian Kröber.
[SPEAKER 2]
[00:00:46-00:01:10]
Eine nun auch ganz neue Perspektive bieten wir heute auf das Thema Zukunft. Denn eine Dame ist bei uns zu Gast, die man in erster Linie gar nicht unbedingt aus der Pferdewelt kennt. Sie ist Gegenwartsschriftstellerin in vielen Podcasts, zu Gast in Talkshows. Man kennt sie aus der Öffentlichkeit. Es handelt sich um Juli Zeh. Frederice und eine Podcast-Folge, bei der wir auch gemeinsam sehr viel Spaß gehabt haben. Eine frische Perspektive.
[SPEAKER 3]
[00:01:11-00:01:31]
Genau, du sagst es, Christian. Mit Juli haben wir nicht nur eine der wichtigsten deutschen Schriftstellerinnen der Gegenwart zu Gast, sondern auch eine Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, aber auch ein Pferdemädchen, ein echtes. Juli hat neben vielen anderen Veröffentlichungen nämlich auch das Buch Gebrauchsanweisung für Pferde geschrieben.
[SPEAKER 2]
[00:01:31-00:01:43]
Und die Gebrauchsanweisung für Pferde plus was das für die Zukunft bedeutet, da sprechen wir jetzt drüber. Eine schöne Folge und wir starten rein. Hallo Juli.
[SPEAKER 1]
[00:01:44-00:01:46]
Ja, hallo.
[SPEAKER 2]
[00:01:46-00:02:05]
Schön, dass du da bist bei uns im Podcast und wir wollen gemeinsam über die Zukunft der Pferdewelt sprechen unter dem Titel Pferdesport 3000. Du bist Gegenwartsschriftstellerin, du bist Verfassungsrichterin, aber viele haben dich jetzt gar nicht so connected mit Pferden. Wie sieht denn dein Alltag mit Pferden aus? Welche Rolle spielen Pferde in deinem Leben?
[SPEAKER 1]
[00:02:07-00:02:38]
Pferde spielen in meinem Leben wirklich eine riesige Rolle. Ich habe vier Stück, die bei mir zu Hause stehen. Also fast schon ein kleiner Reitsteller und ich versorge das auch im Ein-Frau-Betrieb. Das heißt, alles, was daran Arbeit macht, wird auch von mir selbst eigenhändig erledigt. Und natürlich reite ich auch sowohl mein eigenes Sportpferd, was jetzt ein Sportpferd geworden ist, als auch die Pferde meiner Kinder im Korrekturgeritt. Also ich bin sehr ausgelastet und es gibt viele Tage, an denen ich mehr Zeit mit den Pferden verbringe, als mit meiner eigentlichen Arbeit, um ehrlich zu sein.
[SPEAKER 2]
[00:02:39-00:02:48]
Aber das hört sich ja schon so an, dass du das mit einer gewissen Ambition machst. Also jetzt nicht nur, ich reite auch mal, sondern schon mit einem gewissen Fokus.
[SPEAKER 1]
[00:02:48-00:03:26]
Ja, ja, voll. Also ich bin halt Dressurreiterin, ziemliche Fetischistin, aber natürlich... Jetzt nicht mit irgendwie Hardcore-Turnier-Ambitionen, was zum einen daran liegt, dass ich, um das wirklich so zu betreiben, dann doch die Zeit nicht habe. Was zum anderen daran liegt, dass ich mir vor drei Jahren einen Haflinger gekauft habe. Und dieser Haflinger ist jetzt ein Dressurfeld geworden. Und mein Ehrgeiz besteht darin, den halt so weit wie möglich zu fördern, lektionsmäßig. Und ich stelle ihn zwar gelegentlich auch auf Turnier vor, aber ihr könnt euch wahrscheinlich vorstellen, was bei höherklassigen Turnieren passiert, wenn du dann mit dem Haflinger einreitest.
[SPEAKER 2]
[00:03:27-00:03:30]
Also das ist Punk.
[SPEAKER 1]
[00:03:30-00:03:32]
Das ist sehr punkig.
[SPEAKER 2]
[00:03:32-00:03:41]
Also ist es schon so, dass wenn man jetzt, du lebst ja in Brandenburg, wenn man da auf ein Turnier gehen würde, könnte es sein, dass man deinen Namen auf einer Startliste findet?
[SPEAKER 1]
[00:03:43-00:04:08]
Ja, allerdings meinen bürgerlichen Namen. Also Juli C. ist mein Geburtsname. Ich heiße nach Heirat Fink mit Nachnamen. Und mein eigentlicher Vorname ist Julia. Also Juli ist ein Spitzname. Und das ist sozusagen das, was auf den Büchern steht. Juli C. Und wenn ich mich jetzt aber für ein Turnier melde, dann läuft das unter Julia Fink. Das heißt, die meisten Menschen wissen das nicht. Und das ist mir auch ganz recht, ehrlich gesagt.
[SPEAKER 2]
[00:04:08-00:04:12]
Das ist eigentlich ganz charmant. Du bist dann inkognito unterwegs.
[SPEAKER 1]
[00:04:12-00:04:37]
In gewisser Weise. Es gibt natürlich schon ein paar Leute, die es wissen, aber... Es interessiert ja dann in der Situation auch nicht so sehr. Also Pferdesport absolviert die Leute ja meistens so stark, dass alles andere in dem Moment keine Rolle spielt. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich das so schätze. Also ich kann da halt einfach ganz normal mitmachen. Also ich werde halt nicht angeguckt als öffentliche Person, die in Talkshows sitzt oder so. Sondern ich bin genau so ein Dude wie alle.
[SPEAKER 2]
[00:04:37-00:04:47]
Und wie bist du zum Pferd gekommen? Du bist ja geboren im Rheinland, in Bonn. Lebst jetzt in Brandenburg. Wie ist dein Weg zu den Pferden?
[SPEAKER 1]
[00:04:47-00:05:34]
Ich bin einfach das typische Pferdemädchen gewesen, das schon mit sechs Jahren keinen größeren Wunsch hatte, als zu reiten. Ich bin da singulär in meiner gesamten Familie. Also weder meine Eltern noch Großeltern noch irgendein bekannter Verwandter hat je was mit Pferden zu tun gehabt. Also ich war wirklich die Einzige, die diese Krankheitssymptome gezeigt hat und das schon sehr früh und habe dann den typischen Weg leider ja auch oft sehr, sehr traurigen Weg, vor allem damals, ist ja schon ein Weilchen her, durch diese Schulbetriebe genommen, wo man halt einmal die Woche irgendwie ein Pferd aus dem Ständer dann gezogen hat und damit eine halbe Stunde im Kreis geritten ist. Also es hat wirklich sehr, sehr lange gedauert, bis ich überhaupt so Reiten gelernt habe. Also das habe ich dann eigentlich erst als Erwachsene, weil diese Reitschulbetriebe ja nicht wirklich was vermittelt haben an die Schüler meistens.
[SPEAKER 3]
[00:05:35-00:05:42]
Was hat dich denn dazu bewogen, dran zu bleiben? War das die Liebe zum Tier oder eher der sportliche Ehrgeiz?
[SPEAKER 1]
[00:05:42-00:06:49]
Die Liebe zu den Pferden stand an allererster Stelle. Sportlichen Ehrgeiz im Sinne von Turnierreiten hatte ich total lange wirklich überhaupt nicht. Ich habe mir halt mein Leben lang ein eigenes Pferd gewünscht. Das war immer mein größter Traum und war dann aber erst mit ungefähr 30, Anfang 30 in der Lage, das zu verwirklichen für mich. Und das habe ich dann eben auch gemacht. Und so ist es dann eben auch sportlich dann so ein bisschen weiter gediehen. Aber das war nicht der Ausschlag. Also ich habe schon Reiten immer gerne sportlich betrieben. Ich wollte jetzt nicht nur durchs Gelände reiten. sondern ich fand es immer schön, mit dem Pferd gemeinsam sozusagen auch Aufgaben zu lösen, weil da ja auch die Kommunikation erst richtig zum Tragen kommt. Aber das, was mich daran wirklich glücklich macht und deswegen liebe ich eben auch das in der Dressur, ist einfach diese Verständigung, die da stattfindet. Das fixt mich halt total an. Ich liebe halt generell Tiere und da habe ich jetzt einen Tanzpartner. Also für mich fühlt sich das so ein bisschen an wie ein Paartanz. Und das ist so toll, das halt mit einem Tier zusammen zu machen. Also wenn das mit einer Heuschrecke ginge, würde ich das wahrscheinlich auch mit einer Heuschrecke machen. Ich finde das einfach so toll, dass man als Mensch mit so einer völlig anderen Spezies so ein komplexes Sprachsystem entwickeln kann. Also das haut mich immer wieder um.
[SPEAKER 3]
[00:06:50-00:07:46]
Und du siehst ja auch in dieser Partnerschaft, Freundschaft zum Tier viel. Wenn man jetzt auch dein Buch Gebrauchsanweisung für Pferde liest, da findet man ja durchaus auch vielleicht die Motivation, das musst du gleich einmal ausführen, warum deine Kinder reiten dürfen. Ich kann ja einmal zitieren, denn du schreibst, vielleicht wäre die komplizierte und stressige Klickenwirtschaft in der Schule dadurch weniger wichtig geworden, wenn du ein eigenes Pferd hättest, einen Schub. Vielleicht hätten meine schulischen Leistungen nachgelassen. Wahrscheinlich hätte ich große Teile der Pubertät verpasst, mich nicht jahrelang in unglückliche Verliebtheit hineingesteigert. Möglicherweise hätte ich sogar das familiäre Desaster und die Trennung meiner Eltern leichter genommen. Vielleicht wären mir Magersucht und Drogenexperimente erspart geblieben. Ich hätte etwas besessen, das mir allein gehört, nicht nur ein Tier, sondern eine eigene Welt, in der ich eine echte Rolle gespielt hätte. Das können sicherlich auch viele nachempfinden.
[SPEAKER 1]
[00:07:47-00:08:34]
Ja, ich glaube schon. Wobei das natürlich, wenn man das nicht hat, ein Wunschtraum sein kann. Aber wenn man es hat, kann es natürlich auch sehr nerdig sein. Und das Verpassen von allem anderen ist dann vielleicht für Leute, die wirklich dann 24-7 im Reitstall sind, ihre ganze Jugend lang irgendwann auch wieder ein Problem. Also ich will es jetzt nicht glorifizieren. Aber dadurch, dass ich das halt nicht hatte, beziehungsweise mir das immer hart erkämpfen musste, überhaupt im Reitstall irgendwie Zeit verbringen zu können, war das für mich halt einfach so ein total, also wirklich wie eine utopische Wunschvorstellung. Also ich habe wirklich gedacht, ich habe sozusagen die Hälfte meines Lebensglücks verpasst in der gesamten Jugend, weil ich nicht nach Herzenslust reiten und mit Pferden zusammen sein konnte. Also es war für mich wirklich wie so eine andauernde Sehnsucht oder ein ständiges Verlustgefühl.
[SPEAKER 2]
[00:08:36-00:08:48]
Friederike hat ja gerade aus deinem Buch zitiert, Gebrauchsanweisung für Pferde. Was hat dich eigentlich bewegt, so ein Buch zu schreiben? Weil du bist natürlich bekannt mit deinen anderen Werken, aber jetzt nicht zwangsläufig mit einem Pferdebuch.
[SPEAKER 1]
[00:08:50-00:10:32]
Ja, ich hätte das von mir aus auch tatsächlich nicht gemacht, weil es mir nämlich so ging, ich weiß nicht, ob ihr das verstehen könnt, vielleicht klingt das auch ein bisschen komisch, aber noch bis vor so ein paar Jahren war mir das mit der Reiterei so ein bisschen peinlich. In der Öffentlichkeit. Und zwar deswegen, weil, glaube ich, nach wie vor gerade Frauen dafür nicht so gut angeguckt werden. Also ich finde, in den letzten Jahren ist das wieder stärker geworden, dass Reiten auch so krass gegendert ist. Also wenn ich mir angucke, was meine kleine Tochter und ihre Freundinnen machen, für Pferdemerge anschleppen oder was da so gängig ist. Das ist alles rosa, das sind alles Einhörner, das ist alles irgendwie mit Sternchen. Also das hat so eine ganz artifizielle, zuckerwattenartige Oberfläche und ist wirklich ganz krass auf so typische Mädchenbilder auch zugeschnitten. Und das prägt natürlich auch die Wahrnehmung von vielen Leuten, die mit Pferden nichts zu tun haben. Also die wissen gar nicht, was das für ein Sport ist. Also dass er hart ist, dass er gefährlich ist, dass es Adrenalin ist und dass er eben diese Beziehung zu einem Tier ist, Die sehen halt nur diese Oberfläche. Und wenn du dich als erwachsene Frau sozusagen dazu bekennst, wird man in gewissen Kreisen natürlich komisch angesehen. Also zumindest in den Kreisen, in denen ich so unterwegs bin. Kultur, intellektuell, Rechtswissenschaften und so. Das wirkt irgendwie so ein bisschen versponnen. Und da habe ich mich so ein bisschen, also ich hätte das glaube ich von mir aus mich gar nicht getraut, aber mich hat halt der Verlag, der diese Reihe herausgibt, Gebrauchsanweisung für und dann kommt immer irgendwas, was einem wichtig ist, kann Land sein oder ein Sport oder ein Hobby. Die haben mich halt bekniet, dass ich das doch machen soll und irgendwie hatte ich dann auch total Lust, also meine Pferdebiografie mal aufzuschreiben sozusagen.
[SPEAKER 2]
[00:10:33-00:11:18]
Würde dich das aus heutiger Sicht abschrecken, wenn du jetzt noch mal so jung wärst, das alles so diesen Zuckerwattenfeeling hat? Weil ich zum Beispiel damals als Junge, als ich angefangen habe, ich komme aus so einem Reiterhochgebiet, Osnabrücker Land, da ist so im Sportteil linke Seite Fußball, rechte Seite Reiten. Das ist so normal, dass Leute auf ein Reitturnier gehen. Das ist so... absoluter Standard. Und ich bin damals deswegen nicht damit aufgewachsen, sehe es aber jetzt zum Beispiel bei Nichten, die ich habe, die reiten, da ist alles jetzt pink und die Gamasche und die Bandage und alles hat noch ein Rüschchen da dran und so. Das hätte mich jetzt heute, würde ich auch sagen, uncool irgendwie.
[SPEAKER 1]
[00:11:18-00:12:23]
Ist das eine Entwicklung, die dich Also ich weiß nicht, wie das, ja doch, das kann sein, dass mich das damals tatsächlich auch abgeschreckt hätte, weil ich mich als Mädchen, als junges Mädchen, aber auch schon als Kind nie identifiziert habe mit dieser rosanen Welt. Also ich war immer so mehr das, was man Tomboy nennt, also so Mädchen, die eigentlich immer lieber mit Jungs spielen wollen. Und deswegen glaube ich, dass mich das möglicherweise abgeschreckt hätte. Inzwischen sehe ich es halt bei meinen Kindern, was das für Auswirkungen hat. Also mein Sohn, der auch angefangen hat zu reiten mit sechs, hat dann mit acht gesagt, er muss aufhören, er wird gemobbt. Also es ist noch schlimmer, als wenn er zum Ballett gehen würde. Und er hat dann erst wieder angefangen, so mit elf, zwölf, wo er dann sozusagen selbstbewusst genug war, um zu sagen, es ist mir doch egal, was die anderen sagen. Aber das hat ihn wirklich ein paar Jahre davon abgehalten, das zu machen, weil die Jungs eben auch dafür gehänselt werden, wenn sie reiten gehen. Und das ist natürlich schon Folge von dieser komischen, weiß ich nicht, was das ist, von dieser komischen Rollenidentität, die da jetzt so stark in den Vordergrund geschoben wird.
[SPEAKER 3]
[00:12:24-00:12:54]
Es kommt einem manchmal ja auch vor wie eine Rolle rückwärts. Und ich glaube, dass gemeinsam mit dem Aspekt, den du eben auch so ein bisschen angesprochen hast, sich im Freundeskreis, der vielleicht eher intellektuell, kulturell ist, sich dort auch zu rechtfertigen. Wie tust du das? Es gibt ja durchaus auch Strömungen, die sagen, ein Tier so zu benutzen, drauf zu reiten, dann der Klimaaspekt. Mit welchen Aspekten der Diskussion bist du da konfrontiert und wie reagierst du?
[SPEAKER 1]
[00:12:55-00:14:53]
Also am häufigsten begegnet mir eigentlich einfach nur Unverständnis. Also dass Leute das halt überhaupt nicht verstehen können, warum man das macht, was daran so toll ist. Das kann man dann natürlich versuchen zu erklären, wenn es die andere Seite interessiert. Wenn ich was Kritisches höre, ist es am ehesten dieser Aspekt, aber das ist doch Tierquälerei. Und damit ist halt nicht gemeint, wie man es macht, sondern dass man es überhaupt macht. Und Ich finde eigentlich, dass man darüber ganz gut sprechen kann, weil ich halt glaube, dass das grundsätzlich erstmal auf einem Missverständnis beruht. Also ich glaube, dass viele Menschen, die Pferde überhaupt nicht kennen, das Pferd für ein reines Wildtier halten. Also anders als zum Beispiel ein Hund oder eine Hauskatze, wo ja jeder weiß, okay, die könnten vielleicht in freier Natur überleben, aber da haben die kein Interesse dran. Also eine streunte Katze, was sucht die sich? Ein Haushalt, wo sie halt wohnen kann. Also die wollen zum Menschen leben. Und bei Hunden ist das ja auch ganz klar. Ein Hund ohne Herrchen oder ohne sein menschliches Zuhause ist ja wirklich unglücklich. Also die wollen diese Beziehung. Und das ist vielleicht bei einem Pferd als Herdentier jetzt nicht ganz so ausgeprägt, aber natürlich, wenn man Pferde kennt, merkt man ja, dass das eben nicht nur eine Einbahnstraße ist, wo man ein anderes Wesen jetzt zwingt. Also Gerade das Pferd, mit dem ich jetzt zusammen bin, der wirklich sozusagen mein Traumprinz ist, das Pferd, mit dem ich mich von allen, die ich bisher je hatte oder die ich kenne, am allerbesten verstehe, ist eine ganz enge Bindung. Das ist wirklich so einer, der wirklich angerannt kommt und der auch ganz genervt ist, wenn er ein paar Tage lang nichts machen kann. Und das sind so Sachen, die einem dann vielleicht nicht unbedingt geglaubt werden, aber ich kann ja tatsächlich dafür bürgen, dass es so ist. Und ich glaube, da muss man einfach auch manchmal was erklären, weil das von den Leuten mangelnde Kenntnis von dieser Sache ist, dass sie so denken.
[SPEAKER 2]
[00:14:53-00:16:02]
Und es ist ja, wenn man jetzt mit Athleten spricht, es gibt ja ein unterschiedliches Spektrum, man hat Athleten, Freizeitreiter, dann gibt es Leute, die nach sportlichem streben. In denen gibt es dann Leute, die dann wirklich sagen, okay, ich will auf diesen Leistungssport track und will da Gas geben. Aber was eigentlich alle vereint ist, dass sie irgendwo was mit Pferden zu tun haben und Pferde auch reiten. Und da... Kommt ja häufig dieser Aspekt, können wir in der Zukunft Pferde noch reiten? Das, was du für Rieke gerade angesprochen hast. Glaubst du, dass diese Diskussion oder beziehungsweise wie handelt man diese Diskussion? Weil wenn ich mit Turnierreitern jetzt mal spreche, als eine dieser Mikrogruppe in dieser Gesamtheit, was man Pferdewelt nennt. Die haben häufig Berührungsangst, sagen, egal was wir sagen, wir machen alles falsch. Aber es ist ja am Ende 3000 Jahre Zuchtgeschichte, die in den heutigen Warmblütern drinstecken. Wenn wir die jetzt in die Brandenburger Prärie entlassen würden, können wir nicht unbedingt sagen, ob die die nächsten zwei Wochen überstehen.
[SPEAKER 1]
[00:16:02-00:17:54]
Und selbst wenn heißt es ja nicht, dass diese Vorstellung von dem Pferd als so eine Art Naturwesen, so ähnlich wie ein Reh oder so, die ist ja falsch. Also es geht ja nicht nur darum, ob die körperlich in der Lage wären, im Wald zu überleben, das wären die vielleicht sogar. Aber die wollen ja auch beschäftigt werden. Das sind ja zum Teil inzwischen auch durch Zucht hochintelligente Tiere. Die sind ja auch in der Lage, unterfordert zu sein, sich zu langweilen. Die kommen ja auch körperlich schlecht drauf, wenn die keinen Sport machen. Also das ist ja wirklich etwas, wenn es korrekt betrieben wird, was denen eher gut tut und Spaß macht. Ja, also natürlich, ich verstehe total, dass Leute das schwer glauben, weil in der Presse hört man immer viel von eben unschönen Praktiken, die ja tatsächlich auch vorkommen. Das muss man ja nicht leugnen, dass beim Reiten tatsächlich Pferden auch Gewalt angetan wird. Und wenn sowas durch die Medien geht, dann denkt man natürlich, naja, das Pferd springt hier über zwei Meter hohe Ochser. Das macht er doch nicht freiwillig. Da muss doch irgendwie Gewalt dahinter stecken. Und das kriegt dann, glaube ich, das Bild. Also ich glaube, wir könnten da in Zukunft... Also wir können, glaube ich, ganz tolle Arbeit leisten, um das immer transparenter zu machen, was das eigentlich bedeutet, ein artgerechter Umgang mit dem Pferd. Und ich denke, wenn man das versteht, dann wird da in Zukunft eher sogar noch mehr Platz für sein als in der Vergangenheit. Weil ich glaube, die Sehnsucht danach, mit Tieren zu tun zu haben... zu tun zu haben, in seiner Freizeit auch so ein bisschen rauszukommen aus diesem Hamsterrad, in dem man immer ist. Also genau so eine Sorte von Sport und Beschäftigung, ich glaube schon, dass das eher mehr Bedeutung kriegen wird in Zukunft, weil die Leute das auch selber ja immer mehr brauchen. Also ich glaube schon, dass Reiten eine riesige Zukunft hat. Es ist ja auch ein Kulturgut. Also uns gäbe es ja alle gar nicht ohne das Pferd, wenn man sich das mal vorstellt, was diese Tiere für uns geleistet haben in den letzten Tausenden von Jahren. Kann man ja nicht einfach sagen, wird jetzt abgeschafft. Gefällt uns nicht mehr.
[SPEAKER 3]
[00:17:55-00:18:19]
Du hast es eben so ein bisschen angesprochen. Du kritisierst ja auch in deinem Buch die Unterordnung der Pferdewelt unter das kapitalistische Denksystem, so formulierst du es in deinem Buch. Und hast ja auch durchaus die negativen Aspekte eben in der Reitsportszene angesprochen. Was können wir konkret machen, um diesen Sport besser zu machen und mehr Menschen zu begeistern? Du sagst ja, der Hunger ist potenziell da.
[SPEAKER 1]
[00:18:21-00:19:49]
Also was ich halt aber ja nicht jetzt als Fachfrau, sondern wirklich nur so als Beobachterin der ganzen Szene sehe oder glaube zu sehen, ist, dass die Tendenz halt wirklich weggeht vom Breitensport. Also Reiten war ja sehr lange Zeit einfach ein sehr elitärer Sport, weil es natürlich mit hohen Kosten verbunden ist. Das liegt ja auf der Hand. Wenn man eben ein Pferd gut halten will, dann kostet das Geld. Das ist nicht dasselbe wie ein Tennisschläger. Logischerweise deswegen auch per se erstmal was für vielleicht eher wohlhabende Leute. Aber dann gab es ja eine Phase, in der es schon so Richtung Breitensport ging und man das irgendwie auch ganz gut geschafft hat, das zugänglich zu machen. Für so viele Menschen, die sich das ja auch wünschen, mit Pferden zu tun zu haben. Und mein Eindruck ist, dass das gerade halt wieder zurückgeht. Und dass sozusagen das, was ja in der Sportwelt passiert, also dass auch immer mehr vom Geld abhängig wird, von der Frage, was für ein Pferd kann man sich leisten, mit wie viel Geld kann man eben diese internationalen Touren starten, dass das sozusagen auch nach unten durchfährt. Und jetzt immer mehr Leute es sich eben nicht mehr leisten können, ein Pferd zu halten, jedenfalls nicht artgerecht. Ich kann wirklich nicht sagen, wie man das rückgängig machen kann. Ich habe keine Ahnung, wie das jetzt gehen soll. Aber ich glaube, dass das eine traurige Entwicklung ist und dass das sowohl dem Freizeitsport als auch dem Turniersport nicht guttun wird, weil der braucht ja die Basis. Also wenn das keiner mehr gucken will und das interessiert keinen mehr, weil das nur noch die oberen 10.000 machen, hat, glaube ich, niemand was gewonnen. Auch der Spitzensport profitiert am Ende nicht.
[SPEAKER 2]
[00:19:50-00:20:52]
Und der Reitsport selber, wenn man jetzt so auf diese Verbandsgröße schaut, ist der Reitsportverband, also die Deutsche Reitsportvereinigung, in den Top Ten der Mitgliederzahlen. Und ich glaube, in der Spitze waren die über Tennis. Also es war wirklich substanziell groß, was jetzt auch die Anzahl der Menschen, und ich teile deine Einschätzung total, es gab so eine Zeit, da war es einfach relativ günstig im Vergleich zu heute. Ein Pferd zu halten, vielleicht auf ein Turnier zu fahren, einen neuen Sattel zu kaufen. Diese Dinge waren irgendwie leistbar. Aber das ist ja eigentlich, wenn man jetzt wieder auf dieses Thema Zukunft, wo stehen wir vielleicht in zehn Jahren? Das ist ja ein so großer Makrotrend, der wahrscheinlich ja nicht umkehrbar ist. Wir reden ja einfach über Inflation. Wir haben noch gar nicht über das Thema CO2-Preis gesprochen, wenn er irgendwann mal käme. Es gibt bisher noch keine Möglichkeit. Also die großen LKWs, die kannst du noch nicht auf E umrüsten. Wenn das käme, würde ja auch noch ein Preisanstieg kommen. Also es sind schon sehr, sehr große Trends, die laufen.
[SPEAKER 1]
[00:20:53-00:23:00]
Ja, ganz schlimm wäre jetzt auch die Sache mit den Tierarztkosten, die für viele Leute, die das so machen wie ich, nämlich ihre, also natürlich nicht nur für die, es ist für jeden ein Problem, aber wenn du jetzt jemand bist, der halt Pferde nur deswegen halten kann, weil er sie am Haus hat und du deswegen eben die Boxenmieten nicht zahlst, also du bist sozusagen so gerade an der Kante, deine Tiere gut zu versorgen und dann kommt eben so eine Preissteigerung, das wird halt für viele Leute ja sofort existenziell. Es ist letztlich ja was, was man auch in anderen Sportarten beobachten kann. Das ist, glaube ich, nicht nur eine Folge von allgemeinen erhöhten Energiekosten und Inflation, sondern man sieht das ja auch am Fußball als so eine parallele Sportart, die auch große Massen eigentlich begeistert, wo man aber auch sieht, dass sozusagen der Spitzensport es vormacht, dass du nur noch eine Chance hast, vorne mitzulaufen, wenn du für 100 Millionen Spieler einkaufen kannst. Und das ist ja sozusagen ein bisschen äquivalent zu der Frage, wenn du jetzt im Dressursport unterwegs bist. Beim Springen ist es, glaube ich, schon noch sehr anders. ist halt klar, ohne eine bestimmte Sorte Pferd brauchst du hier nicht mitreiten. Weil sozusagen Pferde, die nicht auch schon von der Zuchtveranlagung her das Maximale mitbringen, ganz egal wie korrekt sie geritten sind, niemals die äquivalenten Wertnoten bekommen würden. Und das sind ja schon auch Entscheidungen oder es sind Räder, die man drehen kann. Also wenn sozusagen auch so gerichtet wird, dass klar ist, ein Pferd, was weniger kostet als 600.000 Euro, braucht hier gar nicht erst ankommen. sendet das ja schon auch krasse Signale nach unten und das setzt sich fort. Und das sind so Sachen, die auch eben nicht nur die Reiterei betreffen, sondern auch andere Sportarten. Und das wäre sozusagen bedenkenswert. Also ich glaube, beim Fußball sieht man das auch. Da sagen viele Leute ja auch schon, ich habe gar keine Lust mehr, mir die großen Turniere anzugucken. Es geht nur noch ums Geld. Ich gehe lieber wieder in die Kreisliga. Da wird noch ehrlich sozusagen gekämpft und da treten nicht Geldbeute gegeneinander an. Und das mögen die Leute gar nicht auf Dauer. Also deswegen denke ich auch, dass sich das wieder irgendwie zurückdrehen wird, wenn wir über Zukunft reden. Also dieser Trend wird auch wieder aufhören. Ich glaube, das begeistert Leute nicht auf lange Sicht.
[SPEAKER 3]
[00:23:00-00:23:26]
Das wäre ja eben gerade für die Vielzahl an Reiterinnen wünschenswert. Und ein anderer Aspekt, der ja fast so ein bisschen gegenläufig ist, den du auch in deinem Buch besprichst, ist, du sagst, es wird zu viel gezüchtet in diesem Land. Und dass dann wiederum viele Züchter darunter leiden, dass sie später ihre Zuchtprodukte, ihre Pferde, dann zu günstig verkaufen müssen. Das ist ja der entgegengesetzte Trend.
[SPEAKER 1]
[00:23:28-00:24:49]
Ja, und den sehe ich natürlich vor allem deswegen, also in gewisser Weise noch viel kritischer, weil ich aus eigener Anschauung weiß, wie schlecht es diesen Pferden geht. Also ein Pferd, was... als ungenügend gelabelt wurde, weil es eben nicht genügend Veranlagung mitzubringen scheint, um einen großen Kaufpreis zu erzielen. Und was dann sozusagen verramscht wird und sich in so einen Wanderpokal verwandelt, was dann durch lauter nicht besonders qualifizierte Hände geht, keiner kommt damit klar. Das Tier führt ein wahnsinnig unglückliches Leben und wenn es Pech hat, landet es dann früher oder später auch wirklich in der Wurst. Und das sind halt wirklich dann Pferde, die werden eigentlich dazu geboren, eine richtig blöde Existenz zu haben, weil die einfach in Wahrheit niemand braucht oder niemand sich qualifiziert, um sie kümmern kann, weil ihr Kaufpreis ist nicht rechtfertigt, sie anständig zu versorgen. Also ihr Unterhalt ist zu teuer für ihren Wert. Da wäre manchmal mehr Tierschutzgedanke angebracht als im Spitzensport, obwohl ich nicht sagen will, dass es da keine Probleme gibt. Aber man guckt oft nur auf die prominenten Spitzenreiter und fragt sich nicht so sehr, was eigentlich mit der Tierhaltung ist, gerade am anderen Ende des Segments. Also wo Billigpferde dann zu zum Teil wirklich schlimmen Konditionen weiterverkauft und weiterverkauft werden.
[SPEAKER 3]
[00:24:51-00:25:02]
Und das beobachtest du auch in Brandenburg, wenn ich das richtig gelesen habe. Und du selbst hast auch Pferde aufgenommen oder gekauft, die dieses Schicksal teilen.
[SPEAKER 1]
[00:25:04-00:25:48]
Also ich habe das zweimal, dreimal gemacht. Aber das sind tolle Pferde. Das sind Pferde, die ganz toll geworden sind. Und die natürlich nicht im Spitzensport gehen werden, das ist schon klar, aber die gemessen an dem, was sie mitbringen, wirklich fantastische Pferde geworden sind. Also das war jetzt sozusagen auch nicht nur, also nicht, dass man sich das so vorstellt wie ein Gnadenhof, wo dann irgendwelche armen Pferde sozusagen ihre Rente bekommen, sondern das sind aktive Pferde, die jetzt auch nach wie vor laufen. Also der eine ist über 20, der geht noch Superdressur und die Jüngeren laufen mit meinen Kindern. Also das sind wirklich tolle Tiere. Ich habe das jetzt nicht nur aus Selbstlosigkeit gemacht, sondern weil die einfach toll sind auch.
[SPEAKER 3]
[00:25:48-00:25:49]
Aber es war auch ein harter Weg.
[SPEAKER 1]
[00:25:51-00:26:44]
Das war in dem einen Fall natürlich ein sehr harter Weg, was aber auch daran lag, dass ich in dem Moment, wo ich dieses, mein erstes Pferd, tatsächlich in dem Moment nur aus Mitleid genommen habe, selber viel zu wenig Ahnung hatte und mit einem Pferd, was tatsächlich traumatisiert war, also der hatte einfach ganz doofe Sachen erlebt und der hatte gar keine Lust mehr auf Menschen. Also ich war dem einfach erst mal auch gar nicht gewachsen. Weil Reiten allein ist es ja nicht, wie wir alle wissen. Das ist ja nur ein kleiner Teil dessen. was man tatsächlich in diesem Sport auch können muss oder sollte jedenfalls. Also den ganzen Umgang und die ganze Kommunikationsseite. Und das konnte ich halt alles damals auch noch nicht. Und deswegen musste ich an diesem Pferd oder durfte ich an diesem Pferd das eben auch alles erst mal lernen. Und dafür bin ich eben dankbar, auch wenn er mir einen Haufen Finger und Knochen gebrochen hat in dieser ganzen Phase. Aber ich habe trotzdem auch sehr viel dafür gekriegt.
[SPEAKER 3]
[00:26:46-00:26:50]
Würdest du sagen, Reiten ist Persönlichkeitsbilden, man wächst daran?
[SPEAKER 1]
[00:26:50-00:27:56]
Ja, und das würde ich nicht unbedingt jetzt vom Obendrauf-Sitzen sagen, wobei auch, aber ich würde es vor allem eben bei allem, was den Umgang ausmacht, also die Box betreten oder das Pferd von der Koppel holen, Bis drauf sitzen, alles, was in dieser Zeit passiert. Also nichts da passiert ja, ohne dass man sich in Beziehung zueinander setzen muss, weil diese Pferde sind nun mal zehnmal so schwer wie wir. Und wir können die in Wahrheit zu gar nichts zwingen. Also das heißt, wir müssen sie ja von allem überzeugen und deswegen müssen wir wissen, wie wir Zugang zu ihnen bekommen. Und ich glaube, wenn man das lernt, lernt man unfassbar viel auch über sich selbst. Und ich glaube auch total an diese neuen Ansätze, sowas wie Führungskräfte-Training mit Pferd. Also diese ganzen Coaching-Programme, da glaube ich total dran. Weil ich denke, dass die Pferde einen viel genauer spiegeln, als andere Menschen das tun. Also die reagieren ganz klar auf das, was man aussendet. Und daran kann man dann wirklich erkennen, wie man wirkt. Und dann kann man sich auch korrigieren.
[SPEAKER 2]
[00:27:58-00:28:38]
Wir haben ja eben über das Thema der Preise, wie kostspielig Pferdesport für Menschen sein kann. Ein weiteres Thema ist ja Stadt-Land. Das ist ja auch eines deiner großen Themen, wenn man deine Bücher liest. Wie nimmst du das Stadt-Land-Gefälle gerade im Pferdesport wahr? Jetzt beispielsweise in einer Stadt wie Hamburg, wo wir hier gerade sind. Da gibt es historisch Ställe relativ nah an der Stadt. Andere große Städte haben das nicht. Berlin beispielsweise gab es das auch mal. Das ist auch weniger. Immer mehr Menschen werden in der Stadt leben in der Zukunft. Inwieweit beeinflusst das die Zukunft der Pferdewelt?
[SPEAKER 1]
[00:28:39-00:28:52]
Also ich bin ehrlich gesagt nicht sicher, ob in Zukunft immer mehr Menschen in der Stadt leben. Ich würde das Gegenteil vorhersagen, auch wenn ich weiß, dass das jetzt nicht dem Trend entspricht. Aber wir können uns ja in 10, 15 Jahren nochmal treffen und dann gucken wir, wer recht hat.
[SPEAKER 2]
[00:28:52-00:28:54]
Treffen wir uns hier an Ort und Stelle.
[SPEAKER 1]
[00:28:54-00:30:07]
Genau. Und bis dahin wohnt ihr auch nicht mehr in Hamburg, sondern wohnt ihr auch auf dem Land. Das wäre jetzt meine Prognose. Aber der Unterschied ist tatsächlich natürlich gewaltig oder zumindest wieder gewaltig geworden. Also wenn ich mir anhöre, was für Boxenpreise oder einfach Monatspreise für Unterbringung inzwischen in Berlin wieder aufgerufen werden, also da zahlt man dann für ein Pferd, das wird in Hamburg ja nicht ganz so viel anders sein, allein für die Unterbringung schon zwischen 700 und 1000 Euro. Also Das ist ja sozusagen fast schon das, was du auch irgendwie für ein Zimmer oder ein bis zwei Zimmerwohnungen in der gleichen Stadt bezahlen würdest. Allein das ist natürlich ein Riesenunterschied. In der Region, wo ich lebe, reiten nach wie vor ganz viele Menschen, die nicht reich sind. Also das ist hier kein Reichensport, sondern hier reiten ganz viele Leute. Oder was heißt reiten? Manche fahren auch Kutsche oder gehen auch nur spazieren. Aber sie halten halt Pferde als Haustiere, obwohl sie... Untere Mittelschicht sind vom Einkommen oder sogar noch drunter. Und das ist, glaube ich, in einer Stadt wie Hamburg oder inzwischen auch Berlin einfach komplett undenkbar. Da ist das exklusiv geworden. Da kann man einfach nur mitmachen, wenn man wirklich gut verdient.
[SPEAKER 3]
[00:30:08-00:30:34]
Du selber bist in Reitschulen reitertechnisch sozialisiert worden zu Beginn deiner Reiterkarriere oder deinen Anfängen und hast durchaus auch negative Erfahrungen gemacht. Wie müssten denn Reitschulen sein, um mehr Menschen für den Sport zu begeistern und auch überhaupt eine etwas solidere Ausbildung von möglichst vielen jungen Menschen zu ermöglichen?
[SPEAKER 1]
[00:30:35-00:32:29]
Also ich glaube ja, dass das heute nicht mehr so ist, wie das damals war. Also ich glaube, dass der Reitunterricht schon wesentlich besser geworden ist in den letzten 20, 30 Jahren. Plus auch der Umgang mit Schulpferden. Weil wenn ich mich daran zurückerinnere, wie die Schulpferde damals gehalten worden sind, also ich glaube, das würde das Veterinäramt heute nicht mehr dulden. Und das war früher, die haben wirklich in Ständern angebunden gestanden. Also sie hatten wie so Fahrräder und sind fünf am Tag hintereinander gegangen. Also wirklich richtig krass. Trotzdem finde ich nach wie vor, ich kriege es ja so ein bisschen mit, was auch an Reitunterricht zumindest hier in der Gegend geboten wird, weil viele Kinder von Freunden mich auch immer fragen, gibt es nicht irgendwo eine gute Reitschule, wenn die halt keine eigenen Pferde haben. Mir persönlich fehlen immer zwei Sachen. Erstens fehlt mir wirklich, worüber wir schon viel gesprochen haben, dieser Umgangsaspekt. Dass man, glaube ich, auch um gut reiten zu lernen, schon verstehen muss, dass es halt Kommunikation ist und keine mechanische Einwirkung. Also dass es nicht darum geht, zu ziehen und zu drücken und dann läuft das Tier irgendwo hin, sondern dass man, egal ob von oben oder vom Boden aus, dem Pferd halt Signale senden muss, die es irgendwie versteht. Das fehlt mir so ein bisschen, das den Kindern oder Schülern überhaupt erstmal klar zu machen, dass es darum geht, Und das Zweite ist, dass mir manchmal auch der sportliche Aspekt sozusagen ein bisschen zu kurz kommt. Naja, man sitzt ja oben drauf und lässt sich tragen, aber du siehst sozusagen Leute ohne Körperspannung, ohne wirkliches Körperbewusstsein, mit wenig Takt- und Rhythmusgefühl. die das dann lernen wollen. Also ich sage mal, im Fußballtraining wäre das nicht möglich. Also da läuft jeder erstmal seine fünf Runden und macht vielleicht noch 40 Liegestütze oder fürs Reiten wäre es vielleicht eine Balanceübung oder mal ein bisschen Stretching oder irgendwas. Also es wird sozusagen nicht so sehr als Sport dann auch oft behandelt in den Reitschulen, sondern eher so als, ich weiß nicht was, als so eine Art Freizeitvergnügen, was man einmal die Woche macht.
[SPEAKER 2]
[00:32:29-00:32:30]
Bewegungstherapie.
[SPEAKER 1]
[00:32:31-00:33:35]
Ja, wenn überhaupt. Ich meine, dagegen ist ja so auch grundsätzlich vielleicht nichts einzuwenden, aber ich glaube, dass das erstens ein falsches Bild vermittelt. Das ist auch nicht gut für die Pferde, wenn da Leute drauf sitzen, die nicht wissen, was der richtige Sitz ist und wie das funktioniert. Das ist schlecht für den Pferderücken. Und es motiviert ja auch nicht. Weil ich das schon so oft hatte, dass Leute auch zu mir kommen und sagen, kannst du mir nicht ein bisschen was zeigen? Ich gehe seit fünf, sechs Jahren in Reitunterricht. Ich habe das Gefühl, ich bin keinen Schritt weiter gekommen. Also ich weiß immer noch nicht, was ich eigentlich machen soll da oben, weil dieses Sportliche, dieses auch wirklich Lernen, Weiterkommen, sich selber auch athletisch so ein bisschen voranzubringen, das fehlt dann eben oft. Es ist noch so ein bisschen anderes Selbstverständnis als in anderen Sportarten, wo ja völlig klar ist, Leute, das kann auch mal anstrengend werden. Also das ist ja nicht nur irgendwie ein Schaukelstuhl mit vier Beinen. der höflich im Kreis galoppiert, wenn der Reitlehrer Galopp brüllt. Also das ist ja nicht die Idee eigentlich.
[SPEAKER 2]
[00:33:35-00:33:44]
Verfolgst du denn auch aktiv wirklich so sportliche Events? Also wenn jetzt Aachen im Fernsehen läuft, sitzt du dann davor und guckst dir das an? Also ist das etwas, was du aktiv verfolgst?
[SPEAKER 1]
[00:33:45-00:34:45]
Also ich habe das jetzt nicht geguckt, weil ich halt unterwegs war und nicht konnte. Ich hätte mir das angeguckt, aber ich bin jetzt nicht die ganze Zeit davor. Also ich habe halt dieses Jahr sowohl mit Ingrid Klimke als auch mit André Thieme super schöne Gespräche und einen netten Austausch gehabt. Und deswegen drücke ich natürlich beiden oder habe gedrückt wahnsinnig die Daumen für Paris. Und insofern war es jetzt ja auch super wichtig, wie die halt abliefern in den letzten Wochen und Monaten. Und deswegen war ich da jetzt noch ein bisschen mehr dran sozusagen als sonst über dieses persönliche Interesse. Ich finde eben auch, dass beide, sowohl Ingrid als auch André, jeder für sich unheimlich tolle, spannende Reiter mit ganz interessanten Biografien sind. Also das sind eh Leute, deren Karriere und was sie sonst so machen, auch bei euch zum Teil in Ingrids Fall, die ich sowieso gerne verfolge, weil ich glaube, dass das wirklich so vorbildhafte Figuren für den Sport sind. Also beide, jeder in seinem Bereich.
[SPEAKER 2]
[00:34:45-00:35:07]
Und das sind am Ende ja auch die Personen, die wir brauchen. Du hast ja zwei Top-Leute genannt mit André Thieme und Ingrid Klimke. Leute, die auch dieses Thema versöhnen, Tierschutz und Pferdesport, also das auch wieder zusammenzuführen und sagen, eigentlich gehört das ja zusammen, gelebter Tierschutz ist gleich gelebter Pferdesport und andersherum.
[SPEAKER 1]
[00:35:07-00:36:57]
Ja, ich war jetzt ja kürzlich bei André auf dem Hof und habe mir das alles angeschaut und wie er es macht und sein Training und so weiter. Sicher wisst ihr das ja alles, aber wenn man sich anhört, was für eine Geschichte ihn mit seiner Spitzenstute verbindet. wie das gelaufen ist. Also die er eben nicht gekauft hat, schon fertig ausgebildet für 500 Millionen Euro, sondern die er auf einem mittelprächtigen Turnier entdeckt und gecastet hat. Und das Pferd ist 1,63 und der Mann ist 1,95. Die passen überhaupt nicht zusammen. Und sie war auch nicht gescheit ausgebildet. Und er hat das alles mit ihr zusammen gemacht und der weint fast, wenn er von ihr spricht. Also ich meine, er hat jetzt ja gerade wieder einen grandiosen Sieg errungen. Und der sitzt vor dir und sagt, das verdanke ich alles diesem Pferd. Also der ist so dankbar und so voller Liebe für dieses Tier. Wenn man das hört und auch versteht, dass das gar nicht ginge, wenn die Stute das nicht für ihn machen würde. Also dass keiner von denen, weder Pferd noch Mensch, könnte diese Leistung erbringen, wenn die nicht diese Bindung zu einem anderen hätten. Wenn man das sozusagen anschaulich macht, dann versteht man, glaube ich, weil ich glaube, im Spitzensport leuchtet das umso mehr. Aber wenn ich mit meinem kleinen Haflinger irgendwelche Lektionen reite, dann habe ich, glaube ich, das gleiche Glücksgefühl wie André, wenn er mit seiner Stute über eine Zwei-Meter-Hürde fliegt. Weil ich weiß, das Pferd macht es für mich, ich dränge mich an, so gut ich kann, dass es für ihn auch okay ist und dann gelingt es uns schlecht und recht und dann ist man glücklich. Also ich glaube, wofür Ingrid und André stehen mit dieser großen Liebe und ja viele, viele andere Sportler auch, das ist im Grunde das, was wir Amateure auch alle machen. erleben, warum wir das machen, was ja auch so süchtig macht, diese Glücksmomente. Und deswegen ist es toll, wenn man solche Leute hat, die das auch repräsentieren können, die da auch einfach glaubwürdig sind.
[SPEAKER 2]
[00:36:57-00:37:10]
Wenn du heute noch einmal eine Zeitreise machen könntest und deinem 20-jährigen Ich einen Ratschlag im Hinblick auf dein Reiterleben, dein Leben in der Pferdewelt geben könntest, welchen Ratschlag würdest du der 20-jährigen Juli geben?
[SPEAKER 1]
[00:37:11-00:38:17]
Das ist eine super Frage, aber ich gebe jetzt leider trotzdem eine ziemlich langweilige Antwort darauf. Ich würde nämlich tatsächlich sagen, mach es genau so, wie du es schon mal gemacht hast, weil es war wirklich genau richtig, es so zu machen. Ich halte gerade, weil du sagst mit 20, in dieser Zeit von 20 bis 30, wenn ich da wirklich ein eigenes Pferd gehabt hätte und so obsessiv geritten wäre, wie ich es heute tue, dann gäbe es keine Bücher, dann hätte ich auch kein Studium zu Ende studiert und dann würden wir auch heute nicht miteinander sprechen. Und es war, glaube ich, sowohl für mich als auch für meine Pferde, die ich jetzt habe, super, dass ich das zu einem Zeitpunkt gemacht habe, wo ich gesettelt war, ein bisschen Geld hatte, um mir das leisten zu können, ein bisschen Beinfreiheit hatte, um das auch mit Hingabe machen zu können. Und wo das nicht sozusagen dauernd nur Opfer bedeutet. Also entweder Opfer von mir oder Opfer von dem Tier, sondern wo es wirklich passt. So sehr ich mir das immer gewünscht habe, ich glaube, es war jetzt für mich ziemlich gut, dass ich es erst so spät gekriegt habe. Schön.
[SPEAKER 2]
[00:38:18-00:38:47]
Liebe Juli, tausend Dank, dass du die Zeit genommen hast, hier bei uns im Podcast dabei zu sein. Im Übrigen, André Thieme war natürlich auch schon zu Gast im WIOS-Podcast. Er hat das sehr, sehr gut beschrieben mit Shakaria. Das packen wir für euch auch gerne in die Shownotes. Den Link zu der Podcast-Folge mit Europameister und jetzt frisch gewagten Sieger im großen Preis von Aachen, André Thieme. Deswegen vielen Dank, liebe Juli und hoffentlich bis bald.
[SPEAKER 1]
[00:38:47-00:38:50]
Ja, vielen Dank, weil es super interessant sein durfte.
[SPEAKER 2]
[00:38:50-00:38:59]
Hat mich gefreut und wir sind ja verabredet für in 15 Jahren, um das mit der Stadtrandwende noch mal zu verabreden. Genau. Ciao, ciao.
[SPEAKER 1]
[00:38:59-00:38:59]
Tschüss.
[SPEAKER 2]
[00:39:04-00:39:22]
Diese Folge wurde produziert von Gloria Alter. Das war eine weitere Folge unserer Miniserie Pferdesport 3000. Die nächste Folge gibt es am nächsten Mittwoch. Mein Name ist Christian Kröber. Wenn ihr mögt, abonniert uns auf Spotify, Apple Podcast, überall da, wo es gute Podcasts gibt.